Stadtentwicklung & Umgangskultur

Was macht Kultur? Was kann Wirtschaft? Online-Podiumsdiskussion

„Business meets Culture & Politics“ – das klingt nach großer weiter Welt, nach Erfahrungsaustausch über die Grenzen dreier Welten und die der Kontinente hinweg. Nach einer Podiumsdiskussion, die aus der Leipziger Schaubühne Lindenfels via Youtube in die Welt gestrahlt wird, klingt es eher nicht. Dafür ist die Welt zu begrenzt, um die es hier geht. Zwar sind die Probleme der Kultur in Zeiten der Corona-Dämmerung allenthalben ähnlich. Aber die Veranstaltung des hiesigen Club International behält doch recht konsequent die Leipziger Brille auf – gottlob.

Anette Ehlers, Vizepräsidentin des Unternehmerverbandes Sachsen und als moderierendes Mitglied des Club International neben Gabriele Goldfuß vom Leipziger Referat für Internationale Zusammenarbeit und Club-Vorstand eine der Gastgeberinnen des Abends, bringt das Corona-Grundproblem gleich zu Beginn auf den Punkt, indem sie den „Verlust von Umgangskultur“ beklagt: „Man begegnete sich nicht mehr zufällig, nicht im Konzert, nicht im Theater, nicht im Restaurant oder im öffentlichen Raum.“ Und genau aus solchen zufälligen Begegnungen zwischen Akteuren aus Kultur, Wirtschaft und Politik haben sich in der Vergangenheit bisweilen die schönsten Zusammenarbeiten entwickelt.

Aber zu selten. Und darum könnte dieses Treffen von Wirtschaft, Kultur und Politik im wunderbaren Theatersaal der Schaubühne ein guter Neustart sein. Denn im Grunde ist man sich einig auf dem Podium, finden der Schauspieler und Musiker Peter Schneider, der Klavierfabrikant Christian Blüthner, der via Internet aus Oldenburg zugeschaltete Regisseur Maik Priebe, Leipzigs Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Linke) sowie der Anwalt und FDP-Bundestagskandidat René Hobusch: Es ist erstens wichtig und richtig, dass die öffentliche Hand die Grundfinanzierung von Kunst und Kultur übernimmt. Und zweitens ist darüber hinaus jedes bürgerliche oder wirtschaftliche Engagement willkommen – weil notwendig.

Bei der Ausgestaltung dieses Engagements, bei seinen Möglichkeiten und Grenzen beginnen indes die Meinungsverschiedenheiten – oder liegt es nur am gegenseitigen Verständnis? Dann wäre es wichtig, einander die Fragen zu beantworten, die dem Abend das Motto geben: Was macht Kultur? Was kann Wirtschaft?

Hobusch vertritt den Standpunkt, dass Wirtschaft weit mehr könnte, ließe man sie wie im Leipzig der Gründerzeit ihr Mäzenatentum frei ausleben und behelligte sie weniger mit Steuern und Abgaben. So läuft es in den USA, und sowohl Schneider als auch Jennicke warnen eindringlich vor den Folgen. Denn wenn die Wirtschaft es kann, weil man sie braucht, bestimmt sie in größerem Maße, was Kultur macht, als der lieb sein kann.

Was nichts daran ändert, dass die Kultur in Summe auf Unterstützung aus der Wirtschaft angewiesen ist. Im großen Maßstab funktioniert das leidlich gut. Das Gewandhausorchester beispielsweise betreibt ein sehr erfolgreiches Fundraising. „Es hat aber“, sagt Jennicke, „auch die dafür nötigen Ressourcen, kleinere oder freie Akteure haben sie nicht.“

Doch auch auf der Gegenseite gibt es Defizite. Früher, führt Christian Blüthner aus, habe sich die Wirtschaft ganz selbstverständlich mit Kunst und Kultur geschmückt und durchaus nicht vornehmlich zu Marketingzwecken. Dass dies nicht mehr so ist, zeige ihm: „Letztlich sind es Fragen von Erziehung und Bildung. Kultur ist ein Bildungsgut, und wenn wir auch in Zukunft eine gebildete Gesellschaft sein wollen, müssen wir lauter klappern, um die breite Gesellschaft zu mobilisieren.“ Im Übrigen sei er sicher, „dass es auch heute möglich ist Geldgeber zu finden, wenn man nur nicht gleich beim Drücken der ersten Klinke ganze Bündel erwartet“, und er trägt diese Ansicht so souverän vor, dass Priebe verspricht: „Herr Blüthner, ich rufe Sie morgen an.“ Aber natürlich ist der Klavierfabrikant nicht irgendein Wirtschaftslenker, sondern gehört beiden Welten an, weil er schon aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ein starkes Interesse an einer kulturell möglichst breit gebildeten Gesellschaft hat. Doch gerade weil er in beiden Welten zuhause ist und überdies international sehr aktiv, beruhigt seine aktuelle Zustandsbeschreibung doch mindestens ein wenig: „Leipzig ist in Fragen der Kultur und Bildung ganz, ganz, ganz weit vorn – da gucken andere Städte mit großem Neid auf uns.



Quellenangabe: Leipziger Volkszeitung vom 10.06.2021, Seite 11

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