Leipzig Charta – Leipzig und seine Markthalle

Juni 2022: Eine Episode urbaner Stadtentwicklung im Quartier.

Dazu zunächst Grundsätzliches zur Stadtentwicklung im modernen Anspruch des Jahres 2022 und ein Rückblick auf die Geschichte des Platzes

Metropolen und Städte, die sich verändern und inmitten der großen Herausforderungen Bewährtes, Notwendiges und Neues im Spagat zwischen Klima und Bestand sinnvoll zusammenbringen müssen, sind dann erfolgreich, wenn sie das abgestimmt, überlegt und konzeptionell strukturiert tun. Von Leipzig aus war 2007 die Leipzig Charta entworfen und verabschiedet worden.

Wilhelm Leuschner Platz, Standort der Alten Markthalle von Stadtbaumeister Hugo Licht

Leipzig, wie nicht nur der der Name sagt, auch inhaltlich entwickelt aus dem Stadtentwicklungs – und Baudezernat, ist Geburtsstadt der Leipzig Charta. Diese beschreibt die Metropole im europäischen Anspruch, aktuell gefasst auf dem informellen Ministertreffen der Europäischen Mitgliedsstaaten in Leipzig im Oktober 2020 mit der Neuen Leipzig Charta 2020 betitelt

Die transformativen Kraft der Städte.

Aufruf und Verpflichtung zugleich.

Gerecht, grün und produktiv

Die Neue Leipzig-Charta formuliert drei Handlungsdimensionen für Stadtentwicklungspolitik:

  • die gerechte Stadt
  • die grüne Stadt
  • die produktive Stadt

Die Gestaltung der digitalen Transformation sowie Bodenpolitik werden darüber hinaus als konkrete Aufgabenfelder benannt.

Fünf Schlüsselprinzipien

In den Leitlinien der Neuen Leipzig-Charta werden zudem fünf Prinzipien guter urbaner Governance:

  • die Gemeinwohlorientierung
  • der integrierte Ansatz
  • Beteiligung und Koproduktion
  • die Mehrebenenkooperation
  • der ortsbezogene Ansatz

und drei räumliche Ebenen gemeinwohlorientierten stadtpolitischen Handelns benannt:

  • das Quartier
  • die Gesamtstadt
  • die Stadtregion.

Es war einmal……. Märchen enden meistens gut, so ist es bei der aktuell aufgeworfenen Diskussion um die Markthalle Leipzig auf dem Wilhelm – Leuschner- Platz, einem noch brach liegenden zukünftig qualitativ hochwertig mit Wissenschaftseinrichtungen bebauten Quartier zu hoffen. Es war einmal eine Markthalle, die 1941 abgerissen worden war; seither finden die Stadtbürger ebenda eine Brachfläche vor; aber “gut Ding will Weil”. Nach 1990 war ein schneller Wurf eines B- Plans nach westdeutschen planerischen Standards gefasst worden. Durch unternehmerisches Engagement der eigens gegründeten “Markthallen GmbH” ab 2006 war auf eine inhaltlich quartiersbezogene urbane Weiterentwicklung gedrungen worden, dies letztlich mit klarer stringenter Beschlussfassung im Stadtrat. Das hat letztlich nach bereits klugem Bodenmanagement des Flächenerwerbs durch die Stadt Leipzig aus 1999 hin zum aktuellen B Plan führen können. Heute wächst mit einmaligem Zutun des Freistaates Sachsen ein besonderes Quartier, ein Ort aus Wissenschaft und Forschung in neuen Bauten. Ob man dafür die Flächentausche hätte zwingend notwendig organisieren müssen, statt kommunale bestimmt Eigentümer zu bleiben, sei hier dahin gestellt. Sicher wäre es kluge Bodenpolitik im langfristigen Denken gewesen, das Selbstbestimmungsrecht der Kommune in Ausrichtung einer Stadt in eine Metropole einzufordern und Erbbaurechte wie die Vorväter um 1900 zu vergeben.

Im B-Plan ausgewiesen mittendrin: eine quirlige Markthalle, die urbane Notwendigkeit mit der Chance auf die Facetten der aktuellen Politik und den Wünschen der Leipziger auf regionale Produktketten umsetzen kann. Historisch belegt und mit modernen angrenzenden Nutzungen vermag ein innovativer und nachhaltiger Bau sich mit eigener Maßstäblichkeit in die heutige, dann stadtplanerisch eingebettete Umgebung einzupassen. Ein Quartiersplatz, die Schaffung eines dem ehemaligen Königsplatz angenäherte eigenständigen Platzes zum Wilhelm – Leuschner – Platz ist vorgesehen; Frequenzbereich der den öffentlichen Nahverkehr in unterirdischen Trasse nutzenden Bürger. Der zentrale Mittelpunkt der „Agora“ soll Treffpunkt für die Leipziger Bürger und deren Besucher werden. Es kann und soll ein Stadtquartier mit eigenständigem und vor allem ganz eigenem Profil entstehen. Gerade die Veränderungen im Handel, die Veränderungen der Innenstädte weg von “Konsumtempeln” zu klimaneutralen, mindestens angepassten Innenstädten fordern einen neuen Handelsplatz. Siehe dazu schon 2010 https://www.anette-ehlers.de/via-regia-und-via-imperii-und-die-leipziger-markthalle

Warum greift ein Teil der Stadtverwaltung sich im Jahr 2022 dann ohne Not selbst an? Warum wird zur Änderung eines vor kurzem nach Antragslage beschlossenen Bebauungsplans ein “Bildungscampus” ohne Abstimmung mit dem Souverän – dem Stadtrat – als Worthülse auf einen Platz geworfen, der ehedem im noch nicht endverhandelten Zustand zwischen Baumbestand, Flächennotwendigkeiten, Ansprüchen an ein modernes urbanes Stadtquartier und Milliardeninvestition des Freistaates Sachsen mit dem Global Hub, dem Forum Recht, dem Leibnitz Institutes des Bundes ächzt? Das Argument der Notwendigkeit der Veränderung der Innenstädte wird umgedreht hin zu der Aussage man habe genug “Handel” und sehe den Leerstand. Der ist nicht nur post Corona bedingt. Das Finanzprodukt Immobilie hat sich längst aus der Realwirtschaft verabschiedet; die Ketten der erstarrten Projektentwicklung haben ewig gleiche Innenstädte geschaffen, die nichts mit Inhaber geführten Unternehmen zu tun haben, geschweige denn mit regionalem Handel. Eine Markthalle in modernem Gewand mit der Bündelung regionaler Produkte aus den Landkreisen, der Region Mitteldeutschlands, mit Kunst, Genuss, und vor allem kurzen Wegen in Stadt und Land sowie als verbindendes Element zwischen Wissenschaft, jungen Unternehmen und neuen Handelswegen in der Messestadt ist genau eine Kraft, die den systemischen Wandel einzigartig puschen kann. “Klein Paris” kann das doch ebenso wie die “transformation écologique” in Groß Paris!

urbanes Paris – ein Gedankenmodell von Anne Hidalgo

Die Großstadt der kurzen Wege; die mobile Veränderung in Teilhabe aller wie Automobilisten, Fahrradfahrer und Fußgänger ist eine Notwendigkeit. Just hat die Stadtverwaltung einen Maßnahme Katalog mit 85 Vorschlägen zur klimaneutralen Stadt in bereits 18 Jahren vorgelegt. Es geht nur gemeinsam um gemeinsam gut zu leben mit möglichst sauberer Luft und Bereichen, die einladen, in die Stadt zu kommen.

Und nicht zu vergessen: Das Marktrecht ist ureigene Pflichtaufgabe der Kommune; heißt: die Kommune kann direkt mitgestalten, muss das letzte ihr nun nach Flächentausch mit dem Freistaat gebliebene Grundstück nicht auch noch verkaufen. So könnte man sogar eine Verpflichtung über die rein planungsrechtlich erfolgte Bindung aus den Stadtratsbeschluss zum Satzungsbeschluss herleiten. Gerade auf dem Wilhelm Leuschner Platz lassen sich die Elemente urbaner Stadtquartiere so konkret verbinden. Eine Markthalle “Agora” zwischen Via Appia und Via Regia – historisch belegt und in einer heute erwachsen gewordenen und dennoch unfertigen liebenswerten Stadt wie Leipzig ein Nukleus, der die Bauten um sie herum in lichtdurchflutetem Hochpunkt zu verbinden in der Lage ist. Ein Platz zum reden, feiern, trinken und streiten. Ein Platz für Alt und Jung, für alle Geldbeutel, für fliegende Händler wie für Delikatessenanbieter, für Künstler und Propheten wie für Unternehmer und Politik und Verwaltung.

Der Anlass der Notwendigkeit der Sanierung von Volkshochschule und Musikschule mit nicht belegten horrenden Sanierungskosten, die einen schwindeln lassen. Man kann doch zusammenführen, was zusammenzuführen geht: das eine tun ohne das andere zu lassen! Die Motiv – und Lösungssuche hat begonnen, gemeinsam mit einem nicht vor einer “Zeitenwende” gefassten Beschlusses und ausdrücklich mit den Bürgern – in seltener Einigkeit berichteten die Medien.